Interviews

Ein Interview besonderer Art...

Mit General Zbigniew Ścibor-Rylski spricht Monika Ałasa



         Seit 5 Jahren bin ich Redakteurin der Zeitung „Cool Times”, die von Anglistikstudenten der Katholischen Universität Lublin herausgegeben wird, und kann somit meine journalistischen Ambitionen verwirklichen. Ich habe zahlreiche Interviews geführt und jedes davon war für mich eine wichtige Erfahrung. Jedes musste auf eine andere Art und Weise vorbereitet werden und von jedem lernte ich viel. Das folgende Interview ist jedoch von besonderer Art. Es gibt wohl im Leben eines jeden Journalisten Menschen, die zu interviewen die Realisierung seiner Ziele darstellen würde. Es war schon immer mein Traum, Menschen zu interviewen, die ich bewundere. Meine Helden sind Menschen, die während des Zweiten Weltkriegs gekämpft haben, insbesondere diejenigen, die am Warschauer Aufstand beteiligt waren. Am 14. September 2005 ging mein Traum in Erfüllung. Ich fuhr nach Warschau und besuchte dort General Ścibor-Rylski, Deckname “Motyl”.



General Zbigniew Ścibor-Rylski, Deckname “Motyl”



                  A.M.: Erlauben Sie mir, Ihnen zuerst zu Ihrer Beförderung zum General zu gratulieren.

         Z.Ś-R: Danke

                  A.M.: Ich möchte untypisch anfangen. Nach Ihrer Kindheit, Ihrer Jugend sowie nach der Zeit der Okkupation und Repression frage ich Sie später. Wir befinden uns im Sitz des Verbandes der Warschauer Aufständischen, dem Sie, Herr General, vorstehen. Können Sie uns bitte die Tätigkeit des Verbandes erläutern?

         Z.Ś-R: Der Verband der Warschauer Aufständischen ist seit über 16 Jahren tätig. Seine wichtigste Aufgabe war ursprünglich, alle Aufständischen zu erfassen, unabhängig von der Formation, in der sie gekämpft haben, einschließlich der Soldaten der Polnischen Armee des 9. Infanterieregiments “Tadeusz Kościuszko”, die in der Nacht vom 14. auf den 15. September 1944 von Saska Kępa aus die Weichsel überquert hatten. Als Nächstes wurden die Wohnverhältnisse und der Gesundheitszustand der Aufständischen geprüft. Mit anderen Worten, man hat sich nach ihrer sozialen Lage erkundigt und in Erfahrung gebracht, ob sie finanzielle Unterstützung benötigen. Heute stehen die sozialen Angelegenheiten im Vordergrund, immerhin beträgt das Durchschnittsalter der Aufständischen 78 Jahre und viele von ihnen sind über 90 Jahre alt. Darüber hinaus legen wir großen Wert darauf, der jungen Generation bewusst zu machen, weshalb der Aufstand ausgebrochen ist, was für Verhältnisse damals herrschten, welche Ideale unsere Triebfeder waren, worum wir gekämpft haben usw. Viele meiner Kollegen halten Vorträge an Schulen. Wir gründeten den Verein zur Pflege des Gedenkens an den Warschauer Aufstand 1944 (Stowarzyszenie Pamięci Powstania Warszawskiego 1944). Diesem gehören Professoren sowie “junge” Historiker und Journalisten an, Menschen, die sich für den Aufstand interessieren und den kommenden Generationen Werte und Ideale unserer Generation übermitteln wollen, wenn wir nicht mehr da sind.

                  A.M.: Am 31. Juli 2004 wurde das Museum des Warschauer Aufstands feierlich eröffnet. Was empfand ein Soldat der AK (Anm. d. Übers.: Abk. für Armia Krajowa, dt.: Heimatarmee), ein Aufständischer in diesem historischen Moment?

         Z.Ś-R: Auf das Museum des Warschauer Aufstands haben wir über 20 Jahre gewartet. Nach dem Beschluss, das Museum in der Bielańskastraße zu erbauen, wurde der Grundstein zum Bau des Museums gelegt und eine Gründungsurkunde unterzeichnet. Aber die Dinge entwickelten sich unerwarteterweise anders. Der Inhaber der Anlage stimmte dem Kauf doch nicht zu, obwohl Herr Kozak, der damalige Präsident von Warschau, eine beträchtliche Summe angeboten hatte. Heute müssen wir von großem Glück reden, dass das Geschäft nicht zustande gekommen ist. In der Bielańskastraße hätten wir es lediglich mit dem Ersatz eines Museums zu tun gehabt. Das heutige Museum dagegen liegt ideal, wir verfügen über eine sehr große Anlage, den “Park der Freiheit”, die “Mauer der Erinnerung”, in die die Namen der gefallenen Teilnehmer des Aufstands eingemeißelt sind. Wohl jeder Aufständische war tief gerührt, als das Museum endlich, 60 Jahre danach, so feierlich eröffnet wurde. Die Rührung überkam uns, als der Präsident von Warschau die nach dem Befehlshaber “Monter” benannte Glocke zu läuten begann und diese laut ertönte (Anm. d. Übers.: “Monter” - Deckname von Antoni Chruściel, dem Kommandeur des Bezirks Warschau der AK und Oberbefehlshaber des Warschauer Aufstands). Das war ein wahrhaft historischer Moment. Unser Traum ist in Erfüllung gegangen. Das Museum wird der Nachwelt vor Augen führen, dass man sich um jeden Preis für die Freiheit und die Unabhängigkeit unseres Vaterlandes einsetzen soll. Das Wichtigste dabei ist, dass die kommenden Generationen die ganze Wahrheit über die damalige Zeit erfahren werden. Und das ist die Hauptaufgabe des Museums.

                  A.M.: .: Kommen wir nun auf Ihre Jugend zu sprechen. Wie sah Ihr Leben vor dem Krieg aus? Wie haben Sie Ihr Elternhaus, Ihre Schule in Erinnerung ?

         Z.Ś-R: Was mich betrifft, so muss ich sagen, dass mein ganzes Leben belegt, dass ich unter einem glücklichen Stern geboren bin und Gottes Schutz genossen habe. Ich bin am 10. März 1917 auf dem Landgut meiner Eltern in Browki, 70 km südwestlich von Kiew geboren. Mit dem Ausbruch der Revolution wurde alles anders. 1918 mussten wir zusammen mit den Eltern Browki verlassen. Wir waren vier Geschwister: drei Schwestern, Kalinka, Ewa, Danuta, und ich, Zbigniew, der Jüngste. Wir fanden in Bila Zerkwa Zuflucht. Als 1920 die polnischen Truppen unter Rydz-Śmigły in Kiew eingetroffen waren, zogen meine Eltern dorthin um. Mein Vater suchte nach Möglichkeiten, die Stadt zu verlassen und es gelang ihm nach langen, angestrengten Bemühungen, eine Genehmigung zu bekommen. So fuhren wir mit dem letzten Zug mit Verwundeten weg. Unterwegs hielt der Zug auf freiem Felde an. Ich stieg mit einem Soldaten namens Sikora aus, um auf der Wiese zu spielen, als der Zug plötzlich losfuhr. Meine Mutter wäre fast ohnmächtig geworden. Sie fing an zu schreien und Sikora schaffte es gerade noch, mich in den Waggon zu werfen und selbst in den letzten Waggon zu springen. Das war das erste Zeichen des Himmels. Beinahe wäre ich in Russland geblieben!
         Mein Vater wurde im Majoratsgut der Familie Zamoyski in Zwierzyniec am Fluss Wieprz eingestellt. Dort habe ich meine Kindheit verbracht. Mein Vater verwaltete sieben Güter und war viel mit der Britschka unterwegs (Anm. d. Übers.: ein leichter, offener Reisewagen). 1930 rutschte er auf einer Metallstufe des Wagens aus und schlug sich dabei ein Knie auf. Es gab Komplikationen und trotz einer Beinamputation in Lemberg starb mein Vater nach schwerer Krankheit im Jahr 1931. Nach wie vor wohnten wir auf dem Landgut Wywłoczka, ca. 4 km nördlich von Zwierzyniec. Ich kam in die 3. Klasse des Zamoyski-Gymnasiums in Zamość. Meine Mutter erfuhr vom Sułkowski-Gymnasium mit Internat in Rydzyna (Anm. d. Übers.: dt.: Reisen) und so besuchte ich dort die Klassen 4 bis 6. Nachdem meiner Mutter die Wohnung in Wywłoczka gekündigt worden war, zog sie nach Kalisz um (Anm. d. Übers.: dt.: Kalisch), wo ich die 7. und die 8. Klasse am Tadeusz-Kościuszko-Gymnasium mit mathematisch-naturwissenschaftlichem Profil absolvierte. Nach dem Abitur wurde ich in die Fähnrichschule der Luftstreitkräfte (Technische Abteilung) in der Puławskastraße 2 a in Warschau aufgenommen. 1939 absolvierte ich die Fähnrichschule und wurde dem Fliegerregiment 1 Warschau zugeteilt. Als Klassenbester hatte ich die Wahlfreiheit.

                  A.M.: Erzählen Sie uns bitte noch von Ihrer konspirativen Tätigkeit vor dem Aufstand.

         Z.Ś-R: Kriegsausbruch, Evakuierung in den Osten, das erste Gefecht mit den Deutschen bei Mrozy (in der Schlacht bei Kałuszyn), die ersten Kriegsopfer. Wir kamen in die Selbständige Operationsgruppe “Polesie” unter General Franciszek Kleeberg und kämpften bis zur Kapitulation am 6. Oktober nach der Schlacht bei Kock. Unsere Gruppe von 8 technischen Offizieren gab jedoch nicht auf und wir drangen Richtung Rumänien vor. Doch es war vergebens: Wir wurden von den Deutschen im Dorf Krzywda umzingelt und kamen in Gefangenschaft, zuerst nach Kielce, später nach Stargard Szczeciński (Anm. d. Übers.: dt.: Stargard in Pommern). Es gelang mir zu verbergen, dass ich Unteroffizier bin, und somit wurde ich Zwangsarbeiter im Dorf Strohsdorf (Anm. d. Übers.: heute Stróżewo) und später in Horst (Anm. d. Übers.: heute Turze). Im Juni 1940 wurden alle im Osten Geborenen in einer Ziegelei in Pyritz, heute Pyrzyce, gesammelt. Am 1. August, nach drei Tagen in der Ziegelei, brachen wir ein Gitter heraus und eine Gruppe von ca. vierzig Menschen flüchtete. Getrennt, jeweils zu dritt, wanderten wir ausschließlich nachts Richtung Osten. Und nachdem ich viel durchgemacht hatte, erreichte ich am 1. September Warschau. Genau am Jahrestag des Kriegsausbruchs war ich wieder in meinem geliebten Warschau. Und wieder hatte ich Glück. Ich traf meinen Befehlshaber, Major Profasko, der mich mit einer entsprechenden Zelle in Verbindung setzte. Ich bekam u.a. eine Kennkarte (Anm. d. Übers.: eine Art Personalausweis) und eine Arbeitsbescheinigung und begann mit meiner konspirativen Tätigkeit, die darin bestand, im ganzen Generalgouvernement nach geeigneten Plätzen für spätere Abwürfe zu suchen sowie ihre geographischen Koordinaten und Orientierungspunkte festzulegen. So arbeitete ich bis zum Oktober 1941. Ab 1942 wurden dann Waffen abgeworfen und Soldaten mit dem Fallschirm abgesetzt, die sogenannten “Cichociemni” (Anm. d. Übers.: “cichy” - “leise”, “ciemny” - “dunkel”).

                  A.M.: Ich war immer voller Bewunderung für Menschen Ihrer Generation. Welche Ihrer Kameraden haben sich während des Kampfes besonders ausgezeichnet?

         Z.Ś-R: Viele meiner Kameraden schafften es, in den Westen zu gelangen. Dort wurden sie zu Piloten umgeschult und kämpften um England. Viele starben den Fliegertod. Lediglich eine kleine Gruppe überlebte und mit diesen Menschen nahm ich nach dem Krieg Kontakt auf: Bohdan Ejbich (wohnt in Kanada, Autor mehrerer Bücher, Erinnerungen an seine Pilotenzeit, besucht jedes Jahr Polen), Stefan Andersz (Jagdflieger, zeichnete sich bei der Luftschlacht um England durch seine Tapferkeit aus, wohnt bei London, kommt jedes Jahr zu Besuch), Tadeusz Andersz (der letzte Kommodore des Geschwaders 306, zusammen mit mir am 7. Mai 2005 zum General ernannt, wohnt in England, kommt nach Polen zu feierlichen Anlässen, wir waren beide sehr glücklich über die gemeinsame, ehrenvolle Beförderung in Breslau), Leopold Antoniewicz (wohnt in England), Sergiusz Czerni (kam 1949 nach Warschau zurück), Alojzy Gura und einige andere, die heute in Australien leben. Nach dem Krieg sind wir unterschiedliche Wege gegangen.
         Zurück zur Okkupation: Im Juni 1943 wurde ich nach Kowel (Anm. d. Übers.: heutige Ukraine) geschickt, um dort nach geeigneten Stellen für zukünftige Abwürfe zu suchen. Die Aufgabe war äußerst gefährlich, denn die Ukrainer richteten unter der Bevölkerung des Gebietes Massaker an. Wie durch ein Wunder stieß ich nicht auf die Ukrainer, sonst hätte ich bestimmt nicht überlebt. Am 1. Januar 1944 verfügte der Befehlshaber Oberst Bobiński die Konzentration der 27. AK-Division von Wolynien. Ich übernahm die Führung einer Kompanie im Bataillon “Sokół” unter Michał Fijałka. Ich war überall, wo gekämpft wurde. Die schwersten Kämpfe trug meine Kompanie in Schtun aus. Nach einem schweren Kampf erbeuteten wir 10 Fahrzeuge aus dem Fuhrpark des Gegners und nahmen 80 Gefangene. Unter den Deutschen gab es hohe Verluste. Das war einer der größten Siege. Später kämpften wir um Stawky, Stawotschky, die Wälder von Mosyr, im Norden schlugen wir uns bis in die Wälder von Schazk durch, kämpften hart und drangen schließlich bis in die Gebiete von Ostrów Lubelski in der Woiwodschaft Lublin vor. Ich war im Dorf Maśluchy stationiert.

                  A.M.: Kommen wir auf den Aufstand zurück: Wie erlebten Sie seinen Ausbruch und die Vorbereitungen auf die Stunde “W” (Anm. d. Übers.: “W” steht für “Wyzwolenie”, dt.: Befreiung)?

         Z.Ś-R: Am 20. Juni wurde ich aufgefordert, nach Warschau zu kommen. Ich war auf der ersten Wache, danach kam die zweite und dann endlich der Befehl, sich zu bewaffnen. Die Stunde “W” begann. Die Waffen erhielten wir in der Pańskastraße 3 und 5. Unsere Kampfgruppe war im Stadtbezirk Wola in der Żytnia-, Karolkowa-, Młynarska-, Powązkowska- und Okopowastraße konzentriert. Das Bataillon “Czata 49” besetzte die Quartiere in der Żytnia- und Karolkowastraße und ich wurde Kompaniechef. Die Führung des Bataillons übernahm Major Tadeusz Runge, Deckname “Witold”, ein “Cichociemny”-Soldat. Bereits in der ersten Nacht nahm ich an der Eroberung des Gebäudes des Tabakmonopols teil. Wir erbeuteten einige Lkws und einen Pkw vom Typ Mercedes 170 V, mit dem ich mehrere Male durch das Getto zur Miodowastraße in der Altstadt gefahren bin, in der meine Bekannten wohnten. Ich transportierte Zigaretten und Lebensmittel (wir hatten große Lagerhallen in der Stawkistraße in Besitz genommen).

                  A.M.: Erzählen Sie bitte, wie Sie sich gekleidet, was Sie gegessen und wie Sie während der Kämpfe geschlafen haben.

         Z.Ś-R: Die gesamte Kampfgruppe “Radosław” trug Tarnjacken. Ich trug meine eigenen Schaftstiefel von der Untergrundbewegung und ebenfalls eine Tarnjacke. Die Verpflegung war in den ersten Wochen gut. Nach der Einnahme der Lagerhallen in der Stawkistraße waren Lebensmittel kein Problem. Wir transportierten sie in Lager in der Altstadt, die dort in der Voraussicht unseres Rückzugs errichtet worden waren. Dieser erfolgte auch in der Zeit vom 8. bis zum 10. August. Ich war also in der Altstadt in der Mławska- und Bonifraterskastraße. Dann kam es zu den Kämpfen um Muranów, es gab einen Versuch, durch das Polonia-Stadion bis nach Żoliborz durchzudringen, wodurch wir schwere Verluste erlitten. Wir kämpften ununterbrochen, für etwas anderes hatten wir keine Zeit. Es war ein Wunder, dass ich bei einem Bombenangriff in der Mławskastraße am Leben blieb. Als ich den Stuka (Anm. d. Übers.: Abk. für Sturmkampfflugzeug, poln.: “stukas” bzw. “sztukas”) hörte, warfen wir uns auf ein in einer Nische stehendes Sofa und in demselben Moment explodierte eine Bombe. Das ganze Haus stürzte ein und nur die Wand mit der Nische und dem Sofa blieb dabei heil. Zusammen mit mir überlebten Major “Witold” und mein Adjutant Danek Jassa-Dębicki, Deckname “Gryf”. Es war wirklich ein Wunder.

                  A.M.: Wie waren Sie bewaffnet?

         Z.Ś-R: Unser Bataillon war sehr gut mit Waffen ausgerüstet. Wir hatten Maschinenpistolen, leichte Maschinengewehre, Panzerfäuste aus den Abwürfen und Gewehre. Ich selbst hatte eine Maschinenpistole und einen 9-mm-Colt.

                  A.M.: Wie sah das tägliche Leben während des Aufstands aus? Gab es öfter größere Zusammenkünfte, die nicht mit den Kämpfen verbunden waren? Gab es gemeinsames Radiohören, gemeinsame Gebete oder Messen? Hatten Sie die Möglichkeit, Radio “Blitz” zu hören (Anm. d. Übers.: der Radiosender der AK Warschau, poln.: “Błyskawica”)?

         Z.Ś-R: Unsere Gruppe stand stets an vorderster Front. Radio “Blitz” konnten wir nicht hören, dafür aber einige Male Radio “Freies Europa”.

                  A.M.: Kommen wir nun auf Ihre Erinnerungen an den Aufstand zurück.

         Z.Ś-R: Die Kämpfe in der umzingelten Altstadt mussten tragisch enden. Oberst Wachnowski traf die Entscheidung, sich bis in den Bezirk Śródmieście durchzuschlagen. Ich bekam den Befehl, eine Gruppe von 90 Soldaten durch die Kanalisation bis zum Plac Bankowy zu führen, die Kanalisation dort zu verlassen, die Deutschen anzugreifen und die Evakuierung der Altstadt-Einheiten oberirdisch zu ermöglichen. Als die ersten Soldaten in der Nacht herauskamen, traten sie auf auf dem Boden liegende Bleche. Es wurde laut und die Deutschen feuerten mit Maschinengewehren und Granatwerfern, so dass wir die Kanalisation nicht verlassen konnten. Dabei kam beinahe der gesamte Zug zusammen mit dem Zugführer Leutnant “Cedro” um. Lediglich drei Soldaten konnten sich in die Kanalisation retten. Und so endete die Aktion. Durch die Kanalisation kamen wir nach Śródmieście, Ecke Warecka- und Nowy-Świat-Straße. Die ganze Truppe gelangte durch die Kanalisation ins Freie. Drei Tage danach wurde die Kampfgruppe “Radosław” nach Czerniaków geschickt, wo wir mit dem überlegenen Feind unter schweren Bedingungen kämpften, bis endlich drei Bataillone des 9. Infanterieregiments “Kościuszko” vom 15. bis zum 17. September am linken Weichselufer landeten. Das erste Bataillon wurde von Oberleutnant Konankow kommandiert. Als die Soldaten in die Verteidigungslinie eingeordnet wurden, wussten die Deutschen, dass es zu einer Truppenlandung gekommen war und griffen erbittert an. In diesem Kampf kam Oberleutnant Konankow direkt neben mir um. Der Regimentskommandeur übergab mir, “Motyl”, die Führung des Bataillons “Kościuszko”. Und das ist der einzige Fall einer Führungsübernahme eines “Kościuszko”-Verbandes durch einen AK-Offizier.
         Nach hartnäckigen Kämpfen und nachdem eine Evakuierung der Verletzten unmöglich geworden war (man hat uns nur zwei Pontons zur Verfügung gestellt), verfügte “Radosław”, durch die Kanalisation nach Mokotów zu fliehen. Dies geschah in der Nacht vom 20. September. Dort hatten wir fünf Tage lang gekämpft und gelangten anschließend durch die Kanalisation nach Śródmieście. Mokotów ergab sich am 27. September. Nach der Kapitulation am 2. Oktober wurden ich und “Radosław” zusammen mit verletzten und ausgewählten Offizieren nach Pruszków deportiert, wo man uns nach drei Tagen ins Krankenhaus entlassen hat.

                  A.M.: Es wird sicherlich schwierig sein, aber könnten Sie uns, Herr General, eine Situation, vielleicht eine Minute oder einen Bruchteil einer Sekunde schildern, die bei Ihnen einen besonders nachhaltigen Eindruck von den 63 Tagen hinterließ?

         Z.Ś-R: Es fällt mir nicht leicht, den tragischsten Moment jener 63 Tage andauernder Kämpfe zu nennen, der mich am stärksten bewegt hätte. Wie durch ein Wunder überlebten wir das Bombardement in der Mławskastraße in der Altstadt, denn wir hätten dort umkommen müssen. Als Nächstes nenne ich die Auseinandersetzungen in Czerniaków, wo das Bataillon unter Oberleutnant Konankow gelandet war. Bei einem schweren Kampf kam Konankow um, und ich befand mich direkt daneben. Warum blieb ich am Leben? Das ganze Leben lang stellte ich mir die Frage, weshalb die einen, ein paar Meter weiter oder auch direkt daneben, sterben, während die anderen überleben? Wir werden es nie erfahren.

                  A.M.: Wie erging es Ihnen nach dem Krieg ?

         Z.Ś-R: Der Aufstand wurde niedergeschlagen, doch unser Oberkommando war weiterhin im Untergrund aktiv. “Radosław”, Kommandant des Kedyw (Anm. d. Übers.: Diversionskommando der AK), gab nicht auf. Ich bekam den Befehl, mich in Łowicz (Anm. d. Übers.: dt.: Lowitsch) niederzulassen, wo ich bis Juli 1945 aktiv war. Danach lebte ich in Posen, wo mich niemand kannte.
         Ich zog dorthin um, da ich sicher war, sollte Oberst “Radosław” festgenommen werden, geschieht dasselbe mit mir. Also habe ich nichts gestanden und arbeitete im Büro der Autoreparaturwerkstätten „Motozbyt” in Posen. Bis 1952 war ich Büroleiter. Die folgenden 4 Jahre arbeitete ich in einem Posener Transportunternehmen. 1956 bekam ich den Posten eines technischen Inspektors bei der Vereinigung der Wirtschaftsverbände “Inco”. 1963 kam ich wieder nach Warschau. Ich ließ mich in Radość bei Warschau nieder (Anm. d. Übers.: heute ein Wohnviertel im Warschauer Stadtbezirk Wawer). 1977 ging ich in Pension.

                  A.M.: Wurden Sie wegen Ihrer Teilnahme am Aufstand und Ihrer Mitgliedschaft in der AK verfolgt?

         Z.Ś-R: Nein. Erst nach meiner Rückkehr nach Warschau 1963 gab ich zu, die Strukturen um “Czata 49” organisiert zu haben. Die Zeiten hatten sich geändert und man konnte darüber offen sprechen. .

                  A.M.: Ich bewundere die Opferbereitschaft der jungen Leute während des Warschauer Aufstands. Geschichten über sie lese ich stets mit angehaltenem Atem. Um mich herum finde ich leider keine solchen Menschen. Was denken Sie, Herr General, über die Jugend von heute und ihr Verhältnis zum Vaterland?

         Z.Ś-R: Ich halte oft Vorträge an Schulen. Und ich bin davon überzeugt, dass die meisten von ihnen 1944 genauso gehandelt hätten wie wir. Mit Sicherheit wird das Museum des Warschauer Aufstands von großer erzieherischer Bedeutung sein.

                  A.M.: Ich möchte Ihnen meinen Dank dafür aussprechen, dass Sie bereit waren, mit uns Ihre Empfindungen zu teilen. Gleichzeitig möchte ich Ihnen versichern, dass mich meine Mitgliedschaft im Verein zur Pflege des Gedenkens an den Warschauer Aufstand stolz und glücklich macht. Immer werde ich mich darum bemühen, sein aktives Mitglied zu sein. Es war mir eine Ehre, mit Ihnen hier sprechen zu dürfen. Danke.

         Z.Ś-R: Ich danke Ihnen auch und wünsche Ihnen viel Glück und Erfolg.

Warschau, 14. September 2005

Das Gespräch führte: Monika Ałasa





Bearbeitung: Maciej Janaszek-Seydlitz
Aus dem Polnischen von: Monika Kraehmer





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